Lektionen der Geschichte

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Die erste Todsünde

Lektionen der Geschichte

Jorge Majfud

Lincoln University

Übersetzt von  Isolda Bohler, überprüft von Fausto Giudice

Am selben Tag, an dem Christoph Kolumbus aus dem Hafen von Palos losfuhr, am 3. August 1492, lief die Frist für die Juden in Spanien ab, ihr Land, Spanien, zu verlassen,. Im Kopf des Admirals waren zumindest zwei mächtige Objekte, zwei unwiderlegbare Wahrheiten: Der materielle Reichtum von Asien und die vollkommene Religion Europas.

Mit ersterem dachte er, die Zurückeroberung Jerusalems zu finanzieren, mit der zweiten sollte die Beute legitimiert werden. Das Wort „Gold“ quoll aus seiner Feder, wie das göttliche und blutige Metall die Schiffe der ihm folgenden Eroberer überluden.

Im selben Jahr war am 2. Januar 1492 die letzte arabische Bastion auf der Halbinsel, Granada, gefallen. 1492 war auch das Jahr der Veröffentlichung der ersten Grammatik in Castellano (die erste europäische in „vulgärer“ Sprache). Gemäß seines Autors, Antonio Nebrija, war die Sprache die „Genossin des Imperiums“. Die neue Großmacht setzte sofort die Wiedereroberung durch die Eroberung auf der anderen Seite des Atlantiks mit den gleichen Methoden und den selben Überzeugungen fort, um so die globale Berufung des ganzen Imperiums zu bestätigen. Im Machtzentrum sollte es eine Sprache, eine Religion und eine Rasse geben.

Der zukünftige spanische Nationalismus wurde so auf der Grundlage der Säuberung des Erinnerungsvermögens aufgebaut. Es ist wahr, dass acht Jahrhunderte zuvor Juden und arianische Westgoten die Mohammedaner gerufen hatten, die dann kamen und halfen, Roderich und die anderen westgotischen Könige, die für die gleiche Säuberung kämpften, zu ersetzen. Aber dies war nicht der Hauptgrund für die Verachtung, denn nicht das Erinnerungsvermögen war das Wichtige, sondern das Vergessen.

Die katholischen und nachfolgenden göttlichen Könige erledigten (oder wollten erledigen) das andere Spanien, das gemischtrassige, multikulturelle Spanien, in dem mehrere Sprachen gesprochen und mehrere Kulte ausgeübt wurden und mehrere Rassen sich vermischten. Das Spanien, das Zentrum der Kultur, der Künste und der Wissenschaften in einem von der Rückständigkeit, einem gewalttätigen Aberglauben und Provinzialismus des Mittelalters unterworfenen Europa war. Nach und nach schloss die Halbinsel den Anderen ihre Grenzen.

Mauren und Juden mussten das Land verlassen und nach Barbaria (Afrika) oder in den Rest Europas emigrieren, wo sie sich in die peripheren Nationen, die mit neuer sozialer, wirtschaftlicher und intellektueller Unruhe hervortraten, integrierten. Innerhalb der Grenzen blieben einige illegitime Kinder, afrikanische Sklaven, die in der offiziellen Geschichte fast nicht erwähnt wurden, aber die für die würdelosen häuslichen Arbeiten nötig waren.

Das neue und erfolgreiche Spanien schloss sich als eine konservative Bewegung ein (das Oxymoron sei mir erlaubt). Der Staat und die Religion verbanden sich strategisch zur besseren Kontrolle des Volkes in einem schizophrenen Prozess der Läuterung.

Einige Dissidenten wie Bartolomé de las Casas sahen sich in einem öffentlichen Prozess jenen gegenüber, die, wie Ginés de Sepúlveda, argumentierten, dass das Imperium das Recht auf Intervention und auf die Beherrschung des neuen Kontinents hatte, denn es stand in der Bibel geschrieben (Salomon 11:29), dass „der Dumme des Weisen von Herzen Knecht sein wird“. Die Anderen sind wegen ihres „stumpfsinnigen Verstandes und ihrer inhumanen und barbarischen Bräuche“ unterworfen.

Die Rede des berühmten und einflussreichen Theologen, besonnen wie jede offizielle Ansprache, proklamierte: „[die Eingeborenen] sind barbarische und unmenschliche Leute, dem Zivilleben und den friedlichen Sitten fremd und es wird immer richtig und mit dem natürlichen Recht konform sein, dass solche Personen sich dem Imperium der kultiviertesten und humansten Fürsten und Nationen unterwerfen, damit dank derer Tugenden und der Duldsamkeit ihrer Gesetze sie mit der Barbarei aufhören und sich auf ein menschliches Leben und der Pflege der Tugenden reduzieren“. Und in einem anderen Abschnitt: „[man muss] jene, die aus natürlichen Bedingungen Anderen gehorchen müssen, aber deren Imperium ablehnen, mit Waffen unterwerfen, wenn es auf andere Weise nicht möglich ist“.

Damals wurde nicht auf die Worte „Demokratie“ und „Freiheit“ zurückgegriffen, denn bis zum 19. Jahrhundert galten sie in Spanien als Attribute des humanistischen Chaos, der Anarchie und des Teufels. Aber jede imperiale Macht spielt in jedem Augenblick der Geschichte das gleiche Spiel mit unterschiedlichen Karten. Einige, wie man sieht, nicht so verschieden.

Trotz einer ersten, mitleidigen Reaktion des Königs Karl V und der Neuen Gesetze, welche die Sklaverei der Eingeborenen Amerikaner (die Afrikaner galten nicht als Rechtssubjekte) verboten, fuhr das Imperium durch die Inhaber von encomiendas fort zu versklaven und diese Völker, „fremd dem friedlichen Leben“, im Namen der Errettung und der Humanisierung auszulöschen.

Um die schrecklichen aztekischen Rituale zu beenden, die so oft ihren heidnischen Göttern unschuldige Opfer darbrachten, folterte, vergewaltigte und mordete das Imperium massenweise im Namen des Gesetzes und des einzig wahrhaftigen Gottes. Laut Fray de las Casas bestand eine der Überzeugungsmethoden darin, die Wilden auf einem Rost festzubinden und sie lebend zu braten.

Aber nicht nur die Folter – körperlich und moralisch – und die Zwangsarbeit verheerten die einmal von Tausenden Menschen bewohnte Landstriche; sie verwendeten auch Massenvernichtungswaffen, genauer ausgedrückt, biologische Waffen. Die Grippe und die Pocken dezimierten ganze Bevölkerungen, manchmal unfreiwillig und andere Male präzise kalkuliert. Wie die Engländer im Norden entdeckt hatten, war die Wirkung von Sendungen verseuchter Geschenke, wie die Kleidung der Kranken oder hingeworfene, verpestende Leichen, manchmal verheerender als die Artillerie.

Jetzt aber, wer besiegte eines der größten Imperien der Geschichte, wie es das spanische war? Spanien.

Während sich eine durch alle sozialen Klassen ziehende konservative Mentalität am Glauben ihres göttlichen Schicksals, als „bewaffneter Arm Gottes“ (laut Menéndez Pelayo) festhielt, ging das Imperium an seiner eigenen Vergangenheit zugrunde. Seine Gesellschaft brach auseinander und der Reiche und Arme trennende Bruch wurde zur gleichen Zeit größer, in der sich das Imperium die Mineralvorkommen, die ihm zu funktionieren erlaubten, sicherte. Die Armen wurden zahlreicher und der Reichtum der Reichen, den sie im Namen Gottes und des Vaterlandes anhäuften, wurde größer.

Das Imperium musste Kriege finanzieren, die es außerhalb seiner Grenzen führte und das Finanzdefizit wuchs zu einem schwer beherrschbaren Monstrum. Die Steuerkürzungen begünstigten hauptsächlich die oberen Klassen so sehr, dass sie oftmals nicht einmal verpflichtet waren, sie zu bezahlen oder sie wurden davon befreit, wegen ihrer Schulden und Unterschlagungen ins Gefängnis zu gehen.

Der Staat brach mehrere Male zusammen. Die unerschöpfliche Quelle der aus ihren Kolonien, Nutznießer der Illuminierung des Evangeliums, stammenden Mineralen, waren auch nicht genug: Die Regierung gab mehr aus, als sie von diesen intervenierten Ländern erhielt und musste deshalb auf die italienischen Banken zurückgreifen.

Als sich viele Länder Amerikas (das heute sog. Lateinamerika) unabhängig machten, blieb auf diese Weise nichts weiter vom Imperium übrig als ihr schrecklicher Ruf. Fray Servando Teresa de Mier schrieb 1820, dass der Grund, warum Mexiko sich noch nicht unabhängig erklärt hatte an der Ignoranz seiner Leute liege, die immer noch nicht begriffen hätten, dass das spanische Imperium kein Imperium mehr sei, sondern der ärmste Winkel Europas.

Ein neues Imperium konsolidierte sich, das britische. Wie die vorhergehenden und die nachkommenden wird die Verbreitung seiner Sprache und Vorherrschaft seiner Kultur dann zu einem gemeinsamen Faktor. Ein anderer wird die öffentliche Werbung: England stürzt sich sofort auf die Chroniken von Fray de las Casas, um das alte Imperium im Namen einer höheren Moral zu diffamieren. Einer Moral, die keine Verbrechen und Vergewaltigungen verhinderte. Aber natürlich, was zählt, sind ihre guten Absichten: Das Gute, der Frieden, die Freiheit, der Fortschritt – und Gott, der seine Allgegenwart in allen Reden zeigt.

Der Rassismus, die Diskriminierung, das Schließen der Grenzen, der religiöse Messianismus, die Kriege für den Frieden, die großen Steuerdefizite zu ihrer Finanzierung, der radikale Konservatismus verloren das Imperium. Aber all diese Sünden fassen sich in einer zusammen: dem Hochmut, denn er verhindert es einer Weltmacht, all die vorherigen Sünden zu erkennen. Oder er elaubt, sie zu sehen, aber so, als ob sie große Tugenden wären.

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